Die Lebenslagen-Studie „Queer durch NRW“ zeigt dringenden Handlungsbedarf
Die am vergangenen Freitag veröffentlichten Ergebnisse der Lebenslagen-Studie „Queer durch NRW“ zeigen dringenden Handlungsbedarf zur Verbesserung der Lebenssituation insbesondere von trans*, inter* und nicht-binären (tin*) Menschen in NRW.
So berichteten 74% der nicht-binären und 79% der binären trans* Befragten, aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität in den letzten fünf Jahren Diskriminierung erfahren zu haben. Und während die Lebenszufriedenheit von lsbtiq* Menschen in NRW im Durchschnitt erfreulicherweise recht hoch ist, ist dies unter tin* Menschen deutlich seltener der Fall als unter queeren cis und endogeschlechtlichen Menschen.
Die Studie zeigt auch, dass sich nur gut die Hälfte der befragten lsbtiq* Menschen in NRW im öffentlichen Raum sicher fühlt und dass dies überproportional für tin* Menschen gilt (zwei Drittel der inter* Personen und Personen mit Variationen der Geschlechtsentwicklung, 65% der nicht-binären Personen und 57% der binären trans* Personen fühlen sich im öffentlichen Raum eher oder sehr unsicher). Und tin* Personen erfahren häufig Gewalt: Mehr als jede zweite befragte nicht-binäre und binäre trans* Person hat in den vergangenen fünf Jahren mindestens einen Übergriff erlebt, unter den befragten inter* Personen bzw. Personen mit Variationen der Geschlechtsentwicklung sind es sogar 65%.
Besonders großen Handlungsbedarf zeigt die Studie hinsichtlich des Schutzes und der Unterstützung von mehrdimensional diskriminierten queeren Menschen: Unter den queeren und auch den tin* Menschen sind diejenigen, die negativ von Rassismus betroffenen sind sowie behinderte queere Menschen besonders stark mit Diskriminierungen und Gewalt konfrontiert.
Auch alarmierend: Bei ca. 75% der befragten tin* Personen (und bei durchschnittlich ca. 50% der befragten lsbtiq* Personen) sind durch psychologische Fachkräfte Depressionen oder depressive Verstimmungen festgestellt worden – was vermutlich in vielen Fällen mit (ggf. internalisierter) Tin*-Feindlichkeit in Verbindung steht und zudem den Bedarf an sensibilisierter und tin*-freundlicher psychologischer Begleitung unterstreicht. Gleichzeitig berichteten insbesondere tin* Personen in der Studie von negativen Erfahrungen im Gesundheitssystem und gaben an, nicht kompetent beraten zu werden. Die Ergebnisse der Befragung unter Fachkräften bestätigen dies: Fachkräfte unterschiedlicher Professionen fühlen sich wenig mit den Bedarfen von tin* Personen vertraut, während viele sich Fortbildungen wünschen und angeben, dass dieses Wissen eigentlich Fachstandard sein sollte.
Für die vom Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebene Studie führte Rauh Research Management unter anderem eine Befragung unter lsbtiq* Menschen in NRW und ihren Angehörigen sowie eine weitere Befragung unter Fachkräften unterschiedlicher Berufsgruppen in NRW durch. Erfreulicherweise war die Beteiligung an beiden Online-Befragungen groß: 5.397 lsbtiq* Menschen und 775 Angehörige nahmen an der ersten Befragung und 4.976 Berufstätige nahmen an der Fachkräftebefragung teil. Somit gibt es endlich eine breite Datenbasis für NRW, die die Handlungsbedarfe deutlich macht und unsere langjährigen Forderungen nach zusätzlichen Maßnahmen untermauert.
So müssen geschlechtliche Vielfalt und ihre Implikationen für den Berufsalltag endlich in die Ausbildungen ganz unterschiedlicher Berufsgruppen (z.B. in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Kita, Schule, Polizei) integriert und entsprechende Fortbildungen breiter finanziert werden. Für die dringend notwendigen Fortbildungen braucht es zusätzliche Fachkräfte und Fachstellen (z.B. zu Gesundheitsbedarfen von tin* Personen). Außerdem müssen Beratungs- und Selbsthilfeangebote insbesondere für tin* Personen gestärkt werden. In all diesen Maßnahmen ist es notwendig, der Vielfalt der tin* Menschen Rechnung zu tragen. Und die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, in denen die Rechte und teilweise sogar die Existenz von tin* Personen verstärkt zur Debatte stehen, machen es noch drängender, die seit Langem dringend notwendigen Maßnahmen endlich durch- und umzusetzen.
Über den folgenden Link können eine Lang- und eine Kurzfassung der Studie heruntergeladen werden: Studie zu Lebenslagen und Erfahrungen von LSBTIQ* „Queer durch NRW“ | Chancen NRW